‚Wann, wenn nicht jetzt: Digitalisierung als Gelegenheitsfenster für mehr Entgeltgleichheit nutzen‘
Session auf der Labor.a 2022
Am 21. September 2022 fand die Labor.a 2022 der Hans-Böckler-Stiftung statt. Angesichts gegenwärtiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Transformationsprozesse beschäftigte sich die Konferenz mit der Frage der Gestaltung einer guten Arbeitswelt. Mit dabei war auch die Geschäftsstelle des Dritten Gleichstellungsberichts, die gemeinsam mit den Frauen im DGB Bundesvorstand als Programmpartnerin die Session ‚Wann, wenn nicht jetzt: Digitalisierung als Gelegenheitsfenster für mehr Entgeltgleichheit nutzen‘ gestaltete. Moderiert von Dr. Mara Kuhl, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Geschäftsstelle Dritter Gleichstellungsbericht, diskutierten Dr. Alexandra Scheele und Elisa Rabe als Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis zum Thema Entgeltgleichheit und Digitalisierung. Kurzfristig verhindert war Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok, die als Vorsitzende der Sachverständigenkommission des Dritten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung leider nicht wie geplant als dritte Teilnehmerin auf dem Podium dabei sein konnte.
Dr. Alexandra Scheele berichtete als Wissenschaftlerin der Universität Bielefeld über ihre Forschung zu den Zusammenhängen von Arbeits- und Geschlechterverhältnissen und beleuchtete dabei insbesondere aktuelle Erkenntnisse aus ihrer Studie zu Digitalisierung und Entgelt(un)gleichheit. Elisa Rabe nahm als Bundesfrauensekretärin der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten die Perspektive aus der Praxis ein und berichtete von Initiativen für Lohngerechtigkeit in der Gewerkschaft und deren Umsetzung in den Betrieben.
Digitalisierung transformiert Tätigkeiten und Berufsbilder
Die Podiumsteilnehmerinnen machten deutlich, dass der digitale Wandel nahezu alle Tätigkeiten und Berufe verändert. So betrifft dies zum einen den Einsatz von digitaler Software oder technisch gesteuerten Großmaschinen, zum anderen verändern sich durch digitale Transformationen Arbeitsabläufe, Verantwortungen und Kommunikationsströme in Betrieben. Wenn Technik in Arbeitsprozesse Einzug erhält, müssen Tätigkeiten neu bewertet, Stellenbeschreibungen aktualisiert und Neueingruppierungen durchgeführt werden – ein Vorgang, der bislang häufig noch nicht stattfindet und von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen durchzogen ist. Dies veranschaulichte Elisa Rabe: In weiblich dominierten Tätigkeitsfeldern, wie im Einzelhandel oder in der Gastronomie wird die Kompetenzentwicklung, die durch digitalisierte Anwendungen erforderlich wird, einfach vorausgesetzt. Sie wird häufig im Sinne eines learning by doing verstanden und nicht in die Entgeltbewertung aufgenommen. Die Einführung neuer Technik wird im Kontrast dazu dann als digitale Entwicklung verstanden, die neue Tätigkeiten hervorbringt und erfordert, wenn diese in männlich dominierten Berufsfeldern wie der Industrie stattfindet. Solche Tätigkeiten werden häufiger an Männer delegiert – auch durch entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen – und entsprechend entlohnt.
Elisa Rabe wies bei der Frage nach der öffentlichen Förderung von Entgeltbewertung darauf hin, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hier Beratung und Begleitung anbietet und erwähnte das Instrument des „eg-check“. Auch im Dritten Gleichstellungsbericht und im Themenblatt Nr. 15 „Digitalisierung und Entgeltgleichheit“ wird der „eg-check“ als Instrument zur Überprüfung von Entgeltgleichheit vorgestellt.
Digitalisierung als Gelegenheitsfenster für Entgeltgleichheit
Elisa Rabe und Alexandra Scheele erklärten, dass sich durch digitale Transformationen Möglichkeitsfenster und Gelegenheitsstrukturen für mehr Entgeltgleichheit ergeben, da durch die wachsenden Kompetenzanforderungen die Entgeltstruktur in Bewegung kommt – diese jedoch auch aktiv genutzt und gestaltet werden müssen. Betriebsrät*innen müssten Veränderungen erkennen und für die Sichtbarkeit der veränderten Anforderungen sowie die Übersetzung in die Entlohnung sorgen. Elisa Rabe sprach sich für den Ausbau von Qualifizierung im Bereich Digitalisierung aus. Insbesondere Weiterbildungsmaßnahmen für Frauen müssen gefördert werden, da diese aufgrund von Geschlechterstereotypen oder der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigungen bei Fortbildung meist nicht einbezogen werden. Damit Weiterbildungen auch Ausgangspunkt für transparente Prozesse der Neubewertungen von Arbeitstätigkeiten werden können, müssen diese formalisiert angeboten werden.
In der Diskussion um die Frage, ob nicht nur die Digitalisierung, sondern auch die digitale Technik Chancen für mehr Entgeltgleichheit bringt, wiesen Arbeitsmarktexpertinnen von INES Berlin im Publikum darauf hin, dass Instrumente verfügbar sind, die mit diskriminierungsfrei programmierter KI arbeiten, die auf der Grundlage der Arbeitsmarktforschung entwickelt wurden.
Forderungen und Perspektiven für mehr Entgeltgleichheit
Mara Kuhl wies auf die im Gutachten zum Dritten Gleichstellungsbericht erwähnten Handlungsempfehlungen zum Entgelttransparenzgesetz hin: Da die Regelungen nur für Großbetriebe gelten, empfiehlt die Sachverständigenkommission eine Ausweitung der Berichtspflicht auf kleinere Betriebe, deren Standardisierung und die Einführung von Sanktionsmöglichkeiten. Elisa Rabe appellierte an eine Beteiligung aller Akteur*innen im Betrieb und für mehr Verbindlichkeit und Transparenz beim Thema Entgeltgleichheit. Dabei braucht es einen differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Dimensionen von Arbeitstätigkeiten und –abläufen, in die sich vergeschlechtlichte Ungleichheiten einschreiben können, so Alexandra Scheele. So bedeutet eine Debatte um Entgeltgleichheit im Rahmen digitaler Transformation auch immer die Auseinandersetzung mit analogen Diskriminierungsstrukturen und bestehenden Ungleichheiten.
Zum Weiterlesen geht es hier zur digitalen Ausstellung ‚Digitalisierung als Gelegenheitsfenster für mehr Entgeltgleichheit‘ auf der Labor.a 2022 und zum Themenblatt Nr. 15 „Digitalisierung und Entgeltgleichheit“.