Digitalisierung und Gleichstellung im neuen Koalitionsvertrag
Mit Blick auf die geschlechtergerechte Gestaltung der Digitalisierung haben wir uns den Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP angeschaut und für ausgewählte Bereiche mit den Handlungsempfehlungen des Gutachtens für den Dritten Gleichstellungsbericht abgeglichen.
Die zukünftige Regierung strebt die umfassende Digitalisierung der Verwaltung an (S. 9) und auch in allen anderen Politikbereichen wird die Digitalisierung eine Rolle. Gleichzeitig setzen sich die Koalitionsparteien zum Ziel, die Gleichstellung bis zum Jahr 2030 zu erreichen (S. 114). Ob dieses Ziel erreicht werden kann, hängt auch davon ab, inwiefern bestehende Ungleichheiten bei der digitalen Transformation berücksichtigt werden.
Der Dritte Gleichstellungsbericht beschreibt die Digitalisierung als ein Gelegenheitsfenster für die Gleichstellung. Diese Gelegenheit kann nur dann genutzt werden, wenn Rahmenbedingungen gesetzt werden, die das Wissen um herrschende Geschlechterverhältnisse berücksichtigen: Denn technologische Entwicklungen – und damit auch die Digitalisierung – sind ebenso wie die Gesellschaft durch Geschlechterverhältnisse geprägt. Obwohl im Koalitionsvertrag Digitalisierung nur an wenigen Stellen direkt mit Gleichstellung in Zusammenhang gesetzt wird, bietet der Koalitionsvertrag einige Anknüpfungspunkte zum Dritten Gleichstellungsbericht. Die Empfehlungen des Dritten Gleichstellungsbericht können die beschriebenen Maßnahmen des Koalitionsvertrags unterfüttern, um die Digitalisierung geschlechtergerecht zu gestalten.
Übergreifend lässt sich festhalten, dass für eine geschlechtergerechte Digitalisierung bereits bei der Entwicklung digitaler Technik angesetzt werden muss. Es müssen vielfältige Perspektiven einbezogen werden, um den Lebensrealitäten aller Menschen gerecht zu werden. Übergreifend ist es daher positiv zu bewerten, dass die Vertragsparteien des Koalitionsvertrags bei der Gestaltung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt auf einen menschenzentrierten Ansatz achten möchten (S. 72). Aus Sicht der Sachverständigenkommission sollte Geschlecht und Intersektionalität in allen Datensystemen, zu denen die Künstliche Intelligenz gehört, explizit berücksichtigt werden. Nur so kann Diskriminierung und einem Fortschreiben bestehender Ungleichheiten durch Datensysteme entgegengewirkt werden.
Auf struktureller Ebene empfiehlt die Sachverständigenkommission gleichstellungspolitische Instrumente und Strukturen den Anforderungen an eine digitalisierte Gesellschaft anzupassen. Es ist zu begrüßen, dass die zukünftige Bundesregierung plant das Gender Budgeting weiterzuentwickeln (S. 15). Dieses sollte auf alle digitalisierungsbezogenen Maßnahmen angewandt werden. Die Regierung plant außerdem die Qualität der Gesetzgebung zu verbessern (S. 9). Dazu empfiehlt die Sachverständigenkommission eine gleichstellungsorientierte Perspektive einzunehmen und die gleichstellungsorientierte Gesetzesfolgenabschätzung zu stärken – insbesondere auch bei digitalisierungsbezogenen Gesetzen. Die neue Regierung wird die ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie des Bundes weiterentwickeln, u. a. mit einem Gleichstellungs-Check künftiger Gesetze und Maßnahmen. (S. 114). Die Ergebnisse des Gutachtens für den Dritten Gleichstellungsbericht bieten eine wichtige Grundlage, um die Strategie an die digitale Transformation anzupassen.
Des Weiteren ist der Bezug zum Dritten Gleichstellungsbericht insbesondere in den Themenfeldern Schutz vor Digitaler Gewalt, der Regulierung von algorithmischen Systemen und Plattformen, der Förderung von Gründerinnen sowie in den Bereichen Arbeiten und Bildung im digitalen Zeitalter deutlich.
Schutz vor Digitaler Gewalt
Der Koalitionsvertrag verspricht, eine „ressortübergreifende politische Strategie gegen Gewalt [zu] entwickeln, die die Gewaltprävention und die Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt“ (S. 114). Die Frage der Rechtsentwicklung zur wirksamen Prävention und Verfolgung von Gewalt gegen Frauen im digitalen Raum ist zentral für die Gleichstellung und Chancengleichheit von Frauen und Männern. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass in der neuen Legislaturperiode mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt die rechtlichen Hürden für Betroffene, wie Lücken bei Auskunftsrechten, abgebaut werden sollen und umfassende Beratungsangebote aufgesetzt werden (S. 17). Die Istanbul-Konvention soll vorbehaltlos auch im digitalen Raum und mit einer staatlichen Koordinierungsstelle umgesetzt werden (S. 114). Um gegen digitale Gewalt vorzugehen empfiehlt die Sachverständigenkommission u.a. die Lücke zwischen Gewaltschutz und Cybercrime zu schließen. Außerdem einen Schutzschirm bei digitaler Gewalt zu etablieren, welcher Menschen, die von geschlechtsbezogener digitaler Gewalt betroffen sind oder ein diesbezüglich hohes Risiko haben, zügig und ohne hohen bürokratischen Aufwand schützt. Bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention sollte digitale Gewalt umfassend berücksichtigt und systematisch beobachtet werden. Eine Identifizierungspflicht auf Plattformen wird im Koalitionsvertrag abgelehnt (S. 17). Die Sachverständigenkommission fordert eine wissenschaftlich fundierte und zivilgesellschaftlich begleitete unabhängige Kommission einzusetzen um Anonymität versus Identifikation im digitalen Raum abzuwägen.
Algorithmische Systeme und Plattformen
Im Rahmen des Digital Services Act (Gesetz über digitale Dienste) der EU soll sich, laut Koalitionsvertrag, u.a. für starke Nutzer*innenrechte, klare Meldeverfahren, die Überprüfbarkeit algorithmischer Systeme von Plattformen sowie klare Regelungen gegen Desinformationen eingesetzt werden (S. 18). Zudem unterstützt die Koalition den „Artificial Intelligence Act” (die KI-Verordnung) der EU (S. 18). Dieser basiert auf einem risikobasierten Ansatz, nach dem KI-Anwendungen ihrem potentiellen Risiko nach in vier Kategorien eingruppiert und entsprechend reguliert werden sollen. Die Sachverständigenkommission empfiehlt eine unabhängige Risikoprüfung von Softwaresystemen, wobei ein Verbot der Nutzung von algorithmischen Systemen bei einer Einstufung in die höchste Risikostufe möglich sein sollte.
Digitalisierungsbezogene Gründungen
Bezogen auf Gründerinnen im digitalen Sektor formuliert der Koalitionsvertrag weitreichende Ansätze, um Frauen die Gründung eines Unternehmens im Digitalsektor zu erleichtern. So soll beispielsweise ein Gründerinnen-Stipendium geschaffen werden (S. 19), die Hürden für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu Finanzierungen und Förderungen abgebaut werden (S. 19), sowie die Beteiligung von Frauen in Investment-Komitees von staatlichen Fonds und Beteiligungsgesellschaften deutlich gestärkt werden (S. 30). Zudem soll, wie auch im Dritten Gleichstellungsbericht vorgeschlagen, eine Strategie entwickelt werden, um gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker zu unterstützen (S. 30). Zielgerichtete Fördermöglichkeiten für Frauen, insbesondere im digitalen Sektor, sind im Sinne des Dritten Gleichstellungsberichts. Zusätzlich sollten jedoch auch bereits bestehende öffentliche Förderprogramme gleichstellungsorientiert gestaltet werden. Dazu bedarf es zunächst einer systematischen, geschlechterdifferenzierten Erfassung und Auswertung der Mittelvergabe.
Arbeit und Bildung
Ein Ausgangspunkt dafür, dass Frauen und Männer die Digitalisierung gleichberechtigt gestalten können, ist, dass Frauen und Männer gleichermaßen an der Entwicklung von Technik beteiligt sind. Dafür brauchen wir mehr Frauen in technischen Berufen. Um das zu erreichen, spricht sich die Sachverständigenkommission für einen „Fix the Company“ bzw. „Fix the Education“-Ansatz aus. Das bedeutet, dass eine geschlechtergerechte Arbeits- und Organisationskultur nötig ist, um mehr Frauen für die Branche zu begeistern und in der Branche zu halten. Es ist daher positiv zu bewerten, dass im Koalitionsvertrag festgehalten ist, dass der Staat bei Vielfalt, Gleichstellung und flexiblen sowie digitalen Arbeitsbedingungen Vorbild sein möchte (S. 9). Für die Sachverständigenkommission bedeutet das beispielsweise Betriebs- und Personalräte zu digitalisierungsbezogenen Kompetenzen zu schulen und die gleichstellungsrechtlichen Anforderungen für Personalverfahren im öffentlichen Dienst zu untersuchen.
Im Bereich Bildung muss Gleichstellungswissen mit digitalisierungsbezogenen Kompetenzen verschränkt werden, d.h. beispielsweise in IT-Lehrgänge auch Module zur Verschränkung von Technik und Geschlecht zu einzubinden. Lehrende und Pädagog*innen in allen Bildungsbereichen müssen digitale Kompetenzen erwerben und diese gleichstellungssensibel vermitteln. Die angedachte Weiterentwicklung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung mit neuem Schwerpunkten zu digitaler Bildung sowie die Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten (S. 96) sollten daher auch Gleichstellungswissen einbeziehen. Der geplante Bildungsgipfel, auf dem sich Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über neue Formen der Zusammenarbeit und gemeinsame ambitionierte Bildungsziele verständigen sollen (S. 94), sollte z.B. auch die Vermittlung von digitalisierungsbezogener Genderkompetenz als Bildungsziel formulieren. Bei der geplanten Weiterentwicklung der Nationale Weiterbildungsstrategie (S. 33) bedarf es zudem einer durchgängigen Geschlechterperspektive, damit es allen Menschen ermöglicht wird, Weiterbildung in Anspruch zu nehmen – unabhängig vom Geschlecht und jederzeit im Lebensverlauf.
Der Deutsche Frauenrat bewertet den Koalitionsvertrag in einer Pressemitteilung als gute Grundlage zum Erreichen der gleichberechtigten Teilhabe und Gleichstellung von Frauen. Es kommt nun auf die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen an auch bei der geplanten aktiven Gestaltung der digitalen Transformation.