Übergabe des Gutachtens für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung: „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“
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Heute hat die Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ihr Gutachten „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“ an die Bundesgleichstellungsministerin Franziska Giffey übergeben.
„Welche Weichenstellungen sind erforderlich, um die Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft so zu gestalten, dass Frauen und Männer gleiche Verwirklichungschancen haben?“ lautete der Berichtsauftrag der Bundesregierung. Die Sachverständigenkommission hat daraufhin in ihrem Gutachten für die Digitalisierung relevante Bereiche ausdifferenziert – die Digitalbranche, die digitale Wirtschaft, die digitalisierte Wirtschaft und die Digitalisierung der Gesellschaft – und diese bearbeitet.
„Die Digitalisierung öffnet ein Gelegenheitsfenster“, so die Vorsitzende der Sachverständigenkommission, Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok bei der Übergabe des Gutachtens: „In diesem scheinbar rein technischen Prozess können und müssen wir herrschende Geschlechterverhältnisse sichtbar machen, Geschlechterstereotype hinterfragen und Machtverhältnisse neu verhandeln. Denn ob wir mit der Gleichstellung der Geschlechter vorankommen oder zurückfallen, hängt von den Rahmenbedingungen und der Gestaltung der digitalen Transformation ab.“
Die Sachverständigenkommission spricht sich für eine soziotechnische Perspektive auf Digitalisierung aus. Dies bedeutet, den Einsatz automatisierter Prozesse in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext zu betrachten, zu beurteilen und aktiv zu gestalten. „In unserem Gutachten formulieren wir 101 Handlungsempfehlungen, um die Verwirklichungschancen im Zuge der Digitalisierung für alle zu stärken – unabhängig vom Geschlecht“, so Yollu-Tok. „Dafür müssen die Rahmenbedingungen der Digitalisierung gestaltet werden. Das hat auch Konsequenzen für die Gleichstellungspolitik, denn wo neue Barrieren und Herausforderungen entstehen, müssen Ziele, Regelungen, Strukturen, und Instrumente angepasst werden.“
Mit der Übergabe ist das Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht auf unserer Webseite unter Veröffentlichungen abrufbar.
Das BMFSFJ wird nun die Ressortabstimmung zur Stellungnahme der Bundesregierung einleiten und dann das Gutachten einschließlich der Stellungnahme voraussichtlich im Mai dem Kabinett vorlegen. (Auf unserer Homepage finden sie mehr Informationen zu den Hintergründen der Gleichstellungsberichte).
Hintergrund: Schwerpunkte des Gutachtens
- In der Digitalbranche- bzw. Informations- und Kommunikationsbranche, in der die für die Digitalisierung zentralen digitalen Technologien entwickelt und gestaltet werden, geht es etwa um Methoden der Gestaltung von Technik, um die Arbeits- und Organisationskultur sowie die finanziellen Rahmenbedingungen für Gründungen in dieser Branche. Die Sachverständigenkommission spricht sich hier zum einen für eine gleichstellungsorientierte Veränderung der Technikgestaltung und der in der Digitalbranche herrschenden Arbeits- und Organisationskultur aus. Zum anderen empfiehlt sie, technologische Innovationen als gestaltbare und gestaltungsbedürftige soziotechnische Innovationen zu verstehen. Damit würden auch weibliche Gründungsaktivitäten sichtbarer und das stereotype Bild des männlichen Unternehmers weniger präsent werden.
- Die Digitale Wirtschaft meint jene wirtschaftlichen Aktivitäten, in denen die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien im Zentrum steht – beispielsweise die Plattformökonomie. Im Fokus sind hier die geschlechtsbezogenen Auswirkungen der Vermittlung von Arbeit über Plattformen. Diese neue – meist atypische – Form der Arbeit verspricht etwa im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit Chancen, birgt aber auch gleichstellungsrelevante Risiken. Solange insbesondere der rechtliche Status der Plattformarbeitenden nicht geklärt ist – so eine der Kernbotschaften des Gutachtens – kann Plattformarbeit insbesondere für Frauen zu einer Sackgasse im Lebensverlauf führen. Und solange die über Plattformarbeit erworbene Erfahrung und Kompetenz nicht sichtbar ist, schafft diese Form der Arbeit keine Übergangserleichterungen im Lebensverlauf.
- Im Bereich der Digitalisierten Wirtschaft, in der IKT-Technologien zur Unterstützung bestehender Geschäfts- und Arbeitsprozesse genutzt werden, beschreibt das Gutachten die daraus resultierenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt einschließlich der dafür notwendigen Qualifikationen. Hier werden sich die bestehenden geschlechtsbezogenen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt oder im Bereich der Weiterbildung nicht „automatisch“ im Zuge der Digitalisierung auflösen. Mit entsprechenden Rahmenbedingungen hat die Digitalisierung aber durchaus das Potenzial, Gleichstellungszielen näherzukommen. Daher muss Mobile Arbeit beispielsweise gesetzlich verankert und u.a. durch Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, zum Datenschutz und zum Schutz vor Diskriminierung flankiert werden. Auch der Einsatz algorithmischer Systeme in Personalauswahlprozessen muss aufgrund der Risiken, u.a. im Hinblick auf Diskriminierungen, kritisch begleitet und eng begrenzt werden.
- Nicht zuletzt durchdringen digitale Technologien das ganze gesellschaftliche Leben (Digitalisierung der Gesellschaft). Dies erleichtert, verschiedene Lebensbereiche miteinander zu verbinden und zu gestalten, führt aber auch zu gleichstellungsrelevanten Risiken. Die Sachverständigenkommission zeigt hier auf, wie bestehende Probleme im Kontext der Digitalisierung eine neue Qualität erlangen können, auf die reagiert werden muss. Beispiele sind Stereotype in Sozialen Medien sowie geschlechtsbezogene digitale Gewalt. Auch aufgrund der zunehmenden Nutzung von Daten durch den Staat oder private Unternehmen, besteht die Gefahr, dass Verwirklichungschancen beschnitten werden. Hier ist der Staat gefordert, ausreichenden Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung und IT-Sicherheit zu gewährleisten.
Die im Gutachten thematisierten Problemlagen und Handlungsempfehlungen zur Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft werfen zudem die Frage nach gleichstellungspolitischen Strukturen und Instrumenten auf, die eine gleichstellungsorientierte Digitalisierung befördern oder gewährleisten können. Die Sachverständigenkommission knüpft dabei an bestehende gleichstellungspolitische Instrumente und Strukturen an und konkretisiert diese für eine gleichstellungsorientierte Gestaltung der Digitalisierung.