Veranstaltung „Marx und die Roboter*innen“
Kolloquium am Weizenbaum-Institut für die Vernetzte Gesellschaft, 07.11.2019
Dr. Stefan Ullrich, Mitglied der Sachverständigenkommission zum Dritten Gleichstellungsbericht, lud am 7. November zu einem Kolloquium am Weizenbaum-Institut für die Vernetzte Gesellschaft ein.
Thema des Kolloquiums war automatisierte Arbeit, also die „hidden work forces“ der Roboter*innen, und Geschlecht. Ebenfalls eingeladen waren drei Autor*innen des gleichnamigen Bandes „Marx und die Roboter“: Sabine Nuss und Florian Butollo (beide auch Herausgebende) sowie Christine Gerber. Zu Gast waren außerdem Prof. Dr. Miriam Beblo, Prof. Dr. Stephan Höyng und Dr. Caroline Richter als Mitglieder der Sachverständigenkommission sowie Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle für den Dritten Gleichstellungsbericht und des Weizenbaum-Instituts.
Diskutiert wurden ausgewählte Texte des oben genannten Buches, in dem die aktuell-politischen Konflikte um das Verhältnis von digitaler Technik und Gesellschaft mit Marx erklärt werden. So ging es weniger um konkrete Geschlechterverhältnisse, sondern vielmehr um bestimmte ökonomische Grundannahmen, die eine entscheidende Veränderung der Gesellschaft durch Digitalisierung unterstellen und implizit auch die Weise bestimmten, wie Gleichstellungspolitik auf diese reagieren sollte. Auf dem Prüfstand stand etwa die Renaissance der Substitutionsthese, dass es zu einem massenweisen Arbeitsplatzverlust durch digitalisierte Industrie käme. Der Gewerkschafter Kim Moody zeigt in seinem Text „Schnelle Technologie, langsames Wachstum“, „dass es nicht so sehr darauf ankommt, ob sich eine bestimmte Tätigkeit durch eine neue Technik automatisieren lässt, sondern ob der Einsatz dieser Technik auch profitabel ist und daher in sie investiert wird.“ (S. 135) Bei wachsendem Niedriglohnsektor und ausbleibenden Investitionen in Industrieproduktionsanlagen, die stattdessen in Staatsanleihen, Aktien und Derivate gesteckt werden, ist die Komplettautomatisierung im Sinne einer „Roboterrevolution“ weiterhin unwahrscheinlich. Auch Sabine Pfeiffer zeigt im Text „Produktivkraft konkret“, dass statt weiterer Automatisierung eher folgende Entwicklung greife: Die Löhne sinken, die Maschinen werden vergleichsweise teurer (und komplexer), der Niedriglohnsektor wächst daraufhin weiter, es folgt keine Arbeitslosigkeit, sondern Um- und Dequalifizierung. Christine Gerber bestätigte dies. Sie hat in ihrem Text „Alte Herrschaft in digitalen Gewändern“ die Innovationen in Crowdwork-Arbeitsprozessen kritisch untersucht. Zum einen habe sich gezeigt, dass sich Automatisierung gerade bei Crowdwork wie etwa bei Amazons Mechanical Turk als das Gegenteil erweise. Hier würden lediglich Arbeitsprozesse anders verwaltet und kontrolliert, aber die eigentliche Mikro- als auch Makroarbeit (bspw. das Erkennen von handschriftlichen Notizen als Training von Texterkennungsalgorithmen bzw. das Realisieren komplexerer wissenschaftlicher Forschungs- oder Softwareentwicklungsaufträge bei Plattformen wie Upwork) würde von Menschen verrichtet. Zum anderen verließen viele neue Produkte wie Wearables oder Smart Glasses nie das Stadium des Prototyps oder der Pilotphase. Stattdessen gelangten häufig „nur“ neue Software-Anwendungen für Smartphones oder Tablets auf den Markt. Diese bringen langfristig keine Produktivitätssteigerungen. Caroline Richter berichtete, dass viele dieser neuen digitalen Produkte im (behinderten-)pädagogischen Bereich unbenutzbar seien, während sinnvolle Anwendungen in Universitätsschubladen versauern würden. Heilmittel seien eben etwa kein Markt. Gerade hier zeige sich, so Butollo, dass der Staat innovative, insbesondere gemeinwohlorientierte Technologien fördern müsse. Staatliche Aufgabe sei das Management der „großen Transformation“. Es gibt viele historische Beispiele dafür, dass staatlich geförderte Techniken Schlüsseltechnologien der heutigen sind, wobei allerdings das Militär hier keine beiläufige Rolle spielt (siehe auch Mazzucatos Buch „The entrepreneurial state“) – Smartphone, Internet, Bahn, Open Source gehörten dazu. Die Unterscheidung zwischen Markt- und Planwirtschaft sei ohnehin eine künstliche, so Nuss: „Kapitalismus ist auch eine Planwirtschaft mit der Maxime der Profitmaximierung.“ Insofern müsse neben konkreten Veränderungen auch die grundlegende ökonomische Logik von Wachstum und Entwicklung um ihrer selbst willen hin zu einer zweckorientierten Wirtschaftspolitik und zur Entwicklung dessen, was wir gesellschaftlich benötigen, angepasst werden.
Anhand des Texts von Florian Butollo, „Vernetzungstechnologie und Produktionsnetzwerke“, ging es schließlich darum, ob es eine Entkopplung des Besitzes von Daten, ihrer Verarbeitung sowie den eigentlichen Fertigungsprozessen und ob es eine Entwertung dieser Fertigungsprozesse gibt. Das Ziel moderner Industrie sei die Verknüpfung von totaler Kontrolle von Daten über den Markt und Daten über die Produktion. Unternehmen möchten alle Monitoring-Systeme im Ökosystem verknüpfen.
Butollo stellte klar, dass „Marx und die Roboter*innen“ kein Maschinenstürmer-Buch sei, sondern eine Kritik an der vorherrschenden, dem Silicon Valley nacheifernden Goldgräberstimmung. Es hat einen nüchternen und unaufgeregten Ton, denn Digitalisierung sei kein Epochenbruch.
Für die Sachverständigen war vor allem interessant, die Frage nach gemeinwohlorientierten, aber im Prototypstadium verbliebenen Innovationen aufzugreifen. Hier müsse der Staat die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen – also beispielsweise fehlende, aber innovative Hilfsmittel für Behinderte befördern. Weitere wichtige Anregungen waren die Unterstützung von genossenschaftlichen Plattformmodellen, die Kritik an den Kehrseiten agiler Arbeitskultur wie sie bei der Makro-Crowdwork zu finden sind, die das Dasein als „Solo-Kapitalist“ befördere oder die Kritik an maskuliner Arbeitskultur wie sie sich in Kickertischen zeige.
Über aktuelle Veranstaltungen berichtet die Geschäftsstelle für den Dritten Gleichstellungsbericht auch auf twitter unter @gleichgerecht.